Reise03.05.2010–05.05.2010

Wo Europas Zukunft gestaltet wird – Informationsreise des Münchner Presseclubs zum Europäischen Parlament nach Brüssel

Ein Montagvormittag Anfang Juni am Münchner Flughafen. Fast jeder der 14 Teilnehmer dieser Informationsreise ist froh, einigermaßen trockenen Fußes zum Check-in der Lufthansa gekommen zu sein.

Denn dorthin führt uns der erste Punkt des straff getakteten „Fahrplanes“, der von PC-Vorstandsmitglied Peter Schmalz in enger Zusammenarbeit mit dem Berliner Informationsbüro des Europäischen Parlaments festgelegt wurde.

Nach Ankunft in Brüssel und Akkreditierung für das Europäische Parlament erwartet uns zunächst am Eingang des Hohen Hauses eine  Personenkontrolle mit gründlicher Durchleuchtung unseres Handgepäckes – wie am Flughafen eben.

Dann ist es geschafft zur Begrüßung durch Frau Dr. Angelika Niebler, seit 1999 Abgeordnete im Europaparlament und seit 2009 Mitglied im Parteivorstand der CSU.

Ihre kurze prägnante Vorstellung verschafft uns einen guten Einblick, wie dichtgedrängt der Terminkalender eines Mitgliedes des Europäischen Parlamentes (MEP) sein kann:  Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie sowie Delegation für die Beziehungen zu der arabischen Halbinsel – um nur einige zu nennen.  Nicht zu vergessen der Wahlkreis Ebersberg und die Arbeit in der Partei, wo die promovierte Rechtsanwältin auch noch wichtige Ämter innehat. Sie ist auch Vorsitzende der Frauen-Union der CSU.

Während des Abendessens legt die gebürtige Münchnerin klar und deutlich ihre Standpunkte zu aktuellen Themen wie Griechenland, EU-Kommissar Günther Oettinger und die Frauenquote dar. Ihre Ämter und die damit verbundenen Reisen nach Südafrika und auf die Arabischen Halbinsel geben ihr, so betont sie, eine genauere Sicht der Dinge. Aufgrund ihrer pointierten Aussagen zu den jeweiligen Situationen wird sie auch unter ihren Brüsseler Kollegen als sogenannte „tough cookie“, also als harte Nuss, bezeichnet. Dem würden auch nach diesem abendlichen Auftakt nur noch wenige widersprechen.

Die Agenda für Tag zwei der Reise sieht im Stundentakt Gespräche vor und beginnt mit einer Diskussion mit der Europaabgeordneten Nadja Hirsch, die seit letztem Jahr für die FDP in Brüssel ist. Als Mitglied in den Ausschüssen Beschäftigung und Soziales, Kultur, Bildung und Medien sowie bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres umspannt der Bogen ihrer Tätigkeiten weite und interessante Felder der EU-Politik.

Die ehemalige Stadträtin im Münchner Rathaus zeigt in enthusiastischer Art und Weise auf, wie etwa der Nichtraucherschutz, der Sachkundenachweis beim beruflichen Master (Stichwort Bologna) und die Asylpolitik aus ihrer Sicht angegangen werden könnte. Diese Ideen versuche sie auch immer auf Wahlkreisebene den Bürgerinnen und Bürgern  auf dem von ihr initiierten „blau-gelben Sofa“ zu vermitteln.

Höchst offiziell geht es mit dem Vizepräsidenten des Europäischen Parlamentes, dem CDU-Politiker Rainer Wieland, weiter. Der gelernte Rechtsanwalt aus Stuttgart, der im EP u.a. für IT, greenIT und Kommunikation zuständig ist, erklärt uns weltmännisch seine Sicht der Dinge. Angesprochen auf die Situation in Griechenland meint er, es sei ein Glücksfall politischer Kultur, der die Grenzen der Demokratie aufzeige und über den man ungestört nachdenken sollte. Er halte nichts von Schönwetterdemokratie und Wohlstandstünche. Das Europäische Parlament müsse der Anker gegen Aufweichungen sein.

Eine weitere Frage zielt direkt auf das neue Amt seines schwäbischen Landsmannes, EU-Kommissar Günther Oettinger. Nach einer kleinen Verschnaufpause zur gedanklichen Stoffsammlung erklärt Wieland, er kenne ihn schon sehr lange. Sie seien in den 70er- Jahren Ortsvorsitzende der Jungen Union zweier benachbarter baden-württembergischer Gemeinden gewesen. Auch spielten sie zusammen Tennis und Skat. Oettinger sei nun „geteert und gefedert im Amt angekommen“. Auch die Frage nach der jetzigen Aufgabe von Ex-Ministerpräsidenten Edmund Stoiber bei der EU kommt auf den Tisch. Dazu äußert sich der Parlaments-Vize diplomatisch. Es seien schon Ergebnisse da; ob er diese gut finden solle, wisse er nicht.

Standortwechsel. Vom achten Stock des Altiero-Spinelli-Gebäudes in den Salon des Abgeordnetenrestaurants im Erdgeschoß. Dort erwarten uns schon Thomas Händel von den Linken und sein persönlicher Assistent zum Mittagessen. Der Gewerkschaftssekretär aus Nürnberg ist wie Nadja Hirsch (FDP) ein Frischling im EU-Parlament, er sitzt u.a. in den Ausschüssen Beschäftigung und Soziales sowie Währung und Wirtschaft. Er zeigt sich als Europa-Optimist und steht uns entspannt Rede und Antwort. Zum Beispiel zur Griechenlandproblematik, wo er die fragile Haushaltspolitik und deren Steuerdisziplin anmahnt, sowie zur Verwaltung des EP. Sie sei die Erfinderin der Bürokratie.

Bei rund 6500 Beschäftigten im EP müsse man zuerst deren Primärzuständigkeiten erkunden, bevor es ans eigentliche Arbeiten gehe.

Manche der mitreisenden Kolleginnen und Kollegen, die hier eine eher heftigere, kontroversere Diskussion à la Bundestag erwartet hatten, verlassenen den Salon überrascht ob des legeren, sachlichen und informativen Gesprächs.

Zeit zur Verdauung bleibt nur während der Liftfahrt zurück in den Sitzungssaal im achten Stock. Dort empfängt uns bereits Barbara Lochbihler, seit 2009 Europaabgeordnete für Bündnis '90/Die Grünen. Sie ist u.a. Mitglied der Ausschüsse Menschenrechte und Auswärtiges. Ein Großteil der Diskussion nimmt das Thema Iran/Irak ein, wo sich die Politologin als ehemalige Generalsekretärin der deutschen Sektion von amnesty international als profunde Kennerin der Materie ausweist und Stellung bezieht.

Unser nächster Gesprächspartner Markus Ferber (CSU) führt uns wieder in geographisch gewohntere Regionen. Der Diplomingenieur der Elektrotechnik, der seit 1994 in Brüssel sitzt und als Chef der CSU-Europagruppe eine gewichtige Stimme in Brüssel hat, zeigt sich maßlos enttäuscht über die erbärmliche politische Behandlung der derzeitigen Krisen. Gerade jetzt gäbe es „windows of opportunities“, also Chancen und echte Gelegenheiten, um den Karren aus dem Dreck zu ziehen. Mit einem gut ausgestatteten Instrumentenkasten gehörte sich hier exakt durchexekutiert bis hin zum regionalen Vollzug. Mit dem gebürtigen Augsburger Ferber, Träger des Bundesverdienstkreuzes, endet die hochinteressante und buntgefächerte Runde der Diskussionen dieses Tages.

Von der Pressetribüne des Plenarsaales aus beobachten wir noch die Ausschusssitzung und die Unterzeichnungszeremonie des Konvents der Bürgermeister/innen, vorgenommen von Energie-Kommissar Oettinger. In diesem Konvent verpflichten sich die beteiligten Städte, die CO2-Emissionen durch eine Steigerung der Energieeffienz und eine umweltfreundlichere Energiegewinnung noch über die energiepolitischen Ziele der EU hin zu reduzieren. Oettinger gibt Schlussfolgerungen und Ausblick dazu diesmal auf Deutsch.  Die jeweiligen Übersetzungen kommen in 21 Sprachen via Kopfhörer.

Nach kurzer Verschnaufpause finden wir uns in der bayerischen Landesvertretung zu Besichtigung und Abendessen ein. Seit 1994 unterhält der Freistaat Bayern eine ständige Vertretung bei der EU. Im Juli 2004 zog diese in das ehemalige Institut Pasteur ein. Ein wahrlich edles Gebäudeensemble, das jährlich über 600 Veranstaltungen beheimatet und fast 12000 Besucher zählt und um das Bayern von allen anderen Bundesländern und EU-Nationen beneidet wird. Bei hervorragendem Speis und Trank, meist bayerischer Herkunft, erläutern uns die erst seit April amtierende neue Leiterin Dr. Angelika Schlunck und ihr mit allen Brüsseler Wassern gewaschener Stellvertreter Heinz Koller Geschichte und Bedeutung der bayerischen Vertretung in Brüssel. Ein Rundgang zeigt, wie mit großem architektonischem Geschick die denkmalgeschützten Gebäude mit harmonisch integrierten Neubauten zu einem modernen Verwaltungs- und Veranstaltungszentrum verbunden wurden.

Den Diskussionsreigen des dritten Tags eröffnen wir mit Wolfgang Kreissl-Dörfler von der SPD.  Der ausgebildete Landwirt aus Augsburg ist seit 1994 MEP.  Er sitzt in den Ausschüssen Welthandel, Agrar und Inneres, Justiz sowie Auswärtiges.

In den 90er-Jahren war er auch internationaler Wahlbeobachter der UNO in Angola, 2001 oberster Wahlbeobachter der EU in Ost-Timor. Über diese Themen referierend, führt er aus, dass Frieden nicht nur die Abwesenheit von Krieg sei. Auch in einer Demokratie müsse Frieden täglich neu erarbeitet werden. Bei uns herrsche Lufthoheit über den Stammtischen. Gerade diese gilt es zu ändern. Vielmehr sollte die Bedeutung des Zuhörens, so wie sie Platon in seinem Werk „Der Staat“ beschreibt, wieder in den Mittelpunkt gerückt werden.

Danach bringt uns Jens Pottharst, einer der vier Kolleginnen und Kollegen aus dem Presseteam des Parlamentspräsidenten, den Pressedienst der EU näher.Heute gilt es 500 Millionen Menschen in 27 EU-Mitgliedsstaaten über die Medien mit den neuesten Meldungen von der EU  zu versorgen. Von „Euro by satellite“ über den press point bis hin zu den jetzt noch 900 ( früher 1600 ) akkreditierten Journalisten werden als ständige Quellen der Nachrichtenverbreitung versorgt. Um alle EP-Standorte pressetechnisch optimal am Laufen zu halten, reist Pottharst viel zwischen Brüssel, Luxemburg und Straßburg.  Alle Medien in gewünschter Weise auszustatten sei eine Kompromissmaschine par excellence, konstatiert er abschließend.

Nach der Mittagspause an der Sandwichbar treffen wir Dr. Rudolf Strohmeier, stellvertretender Generaldirektor der Europäischen Kommission. Den gebürtigen Würzburger darf man nach 25 Jahren in Brüssel mit Verlaub als „alten Hasen“ auf dem diplomatischen EU-Parkett bezeichnen. Kurz und bündig stellt er uns die Dreiteilung der EU in Rat, Kommission und Parlament vor. Uns Medienvertretern rät er zu, mehr über das Europaparlament als nur über nationale Parlamente zu berichten. Von den gut 500 Millionen EU-Bürgern zahlen 350 Millionen mit einer gemeinsamen Währung. Das sei doch ein Hochgefühl, das weitertransportiert werden sollte.

Erfreut zeigte sich Strohmeier, dass Hessen, Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen mit ihren jeweiligen ständigen Vertretungen in Brüssel gut vertreten seien. In seiner Position in der Kommission ist er für den wissenschaftlichen Fortschritt in der EU  zuständig. Dazu gehört auch die zentrale Forschung. Große Hoffnungen setzt der promovierte Jurist in das gemeinsame Projekt EU 2020.  Dabei sei Berechenbarkeit das wichtigste Gut. Viele Entscheidungen dürften nicht mehr allein national definiert werden können.

Der nächste Treffpunkt ist die „Vox-Box“ im dritten Stock dieser heiligen Hallen. Dort werden Radio- und Fernsehsendungen produziert. Georg Tenhagen von Audiovisuellen Abteilung des EP erläutert uns die Einrichtungen und Infrastruktur seines Bereiches. Die eigenen Radio- und Fernsehstudios würden nicht nur von den hausinternen, sondern mit Vorliebe auch den externen Sendern in Anspruch genommen.

Unser Besuch im „parlamentum Europaeum“ endet mit einer kurzen Visite einer Plenarsitzung, der wir wieder von der Pressetribüne des Plenarsaales aus lauschen.

Thema heute: Europa 2020 – Eine neue europäische Strategie für Arbeitsplätze und Wachstum.

Diese von Veranstaltern – Ihnen sei hier nochmals ausdrücklich dafür herzlich gedankt - perfekt organisierte Informationsreise war mehr als nur die Weitergabe reiner Informationen. Sie gab vielmehr detaillierte Einblicke hinter die weitläufigen Kulissen des 'Kolosses' Europäisches Parlament, dessen Slogan „In Vielfalt geeint“ lautet. Bei diesem europäischen Intensiv-Kurs ist allen Teilnehmern klar geworden: In Brüssel wird die Zukunft unseres Kontinent gestaltet, da lohnt es, wachsamer hinzuschauen, als wir es bisher gewohnt sind.

von Michael Helmerich

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