Bitcoin im Stresstest: Chance für Energie und Gesellschaft?

Expertengespräch im PresseClub München: Energie, Geld und gesellschaftliche Folgen einer Technologie

Expertengespräch im PresseClub München

München, 24. September 2025. – „Bitcoin – Revolution oder Risiko?“ Unter diesem Titel hat der PresseClub München ein Thema auf die Bühne geholt, das seit Jahren polarisiert und zugleich Missverständnisse nährt. Zwei profilierte Stimmen boten Einordnung aus unterschiedlichen Blickwinkeln: Rachel Geyer, Präsidentin der European Bitcoin Energy Association, und Holger Wolff, Mitgründer und Geschäftsführer des IT-Unternehmens MaibornWolff. Moderiert wurde die Abendveranstaltung von Constanze von Hassel, Vorstandsmitglied des PresseClubs.

Vom Whitepaper zur Wirklichkeit

Zum Einstieg zeichnete von Hassel die kurze, dichte Geschichte nach – vom Whitepaper von Satoshi Nakamoto (31. Oktober 2008) über den „Genesis-Block“ (3. Januar 2009) bis hin zu Wegmarken wie der ersten dokumentierten Pizza-Bezahlung und Preissprüngen der vergangenen Jahre.

„Energie-Geld“

Rachel Geyer legte den Schwerpunkt auf gesellschaftliche und energiewirtschaftliche Auswirkungen. Weltweit hätten noch immer viele Menschen, besonders Frauen, keinen verlässlichen Zugang zu Finanzdienstleistungen. „Ein Smartphone und etwas Internet genügen, um teilzunehmen“, sagte sie und bezeichnete Bitcoin als „Energie-Geld“: eine Infrastruktur, die je nach Kontext ganz verschiedene Probleme lösen könne – vom Inflationsschutz in Krisenstaaten bis zum digitalen Wertspeicher in Europa.

Besonders pointiert argumentierte Geyer beim Strom- und Wärmethema: Mining sei in Wahrheit ein „flexibles Rechenzentrum“, das überschüssige Erneuerbaren-Strom aufnehmen, in Wärme nutzbar machen und durch schnelles Ein- und Ausschalten Netze stabilisieren könne. Projekte mit Photovoltaik-Überschüssen, Wärmerückgewinnung und lokaler Einbindung – etwa in Landwirtschaftsbetrieben – zeigten, wie sich die Energiewende robuster gestalten lasse. „Wenn man erkennt, welches Problem Bitcoin für einen selbst löst, versteht man Bitcoin“, fasste Geyer zusammen.

Ein ökonomisch gesichertes Kassenbuch

Holger Wolff führte in die Mechanik des Netzwerks: Etwa alle zehn Minuten entstehe ein Block mit mehreren Tausend Transaktionen – „eine neue Seite im Kassenbuch“. Miner investieren vorab Stromkosten und bekämen die Blockprämie und Gebühren nur, wenn alle Transaktionen den Regeln entsprechen. Dieses ökonomische Anreizsystem sichere die Integrität ohne zentrale Instanz. Für Kleinstzahlungen verwies Wolff auf Second-Layer-Lösungen wie Lightning.

Der Volkswirt und Informatiker widersprach dem gängigen Vorurteil, der Wert digitaler Güter sei „luftig“: „Auch bei Kunst oder Oldtimern beruht der Preis auf sozialer Übereinkunft. Bei Bitcoin kommt eine klare, knappe Geldmenge, Zensurresistenz und globale Verfügbarkeit hinzu.“ Das Netzwerk laufe seit 15 Jahren ohne Bank, Börsenaufsicht oder einzelne Kontrollinstanz – getragen „von Mathematik und ökonomischen Anreizen“.

Fragen aus dem Publikum: Quantencomputer, Difficulty, Pseudonymität

Im anschließenden Dialog standen Sicherheit, Skalierung und Regulierung im Mittelpunkt. Zur Quantenfrage verwiesen die Referenten auf den laufenden Open-Source-Prozess: In der Community diskutierte Vorschläge für quantensichere Kryptografie (BIPs) lägen vor; ein späterer Übergang sei technisch und gemeinschaftlich organisierbar.

Zur Sorge, ein Preissturz könne das Netzwerk lähmen, erläuterte Geyer den eingebauten Mechanismus der Difficulty-Anpassung: Fiele der Kurs, sinke der wirtschaftliche Anreiz – ineffiziente Miner schalteten ab, die Netzwerk-Schwierigkeit passe sich an, der Zehn-Minuten-Rhythmus bleibe stabil. Wolff ergänzte: „Das System balanciert sich über Kosten, Wettbewerb und Regeln aus.“

Beim Thema Privatsphäre grenzte Wolff ab: Bitcoin sei pseudonym, nicht anonym. Adressen seien sichtbar, Identitäten nicht – zugleich sei die Kette offen genug, um forensische Auswertungen zu ermöglichen. Für Kriminalität sei Bitcoin deshalb „zunehmend unattraktiv“, für Bürgerinnen und Bürger bleibe es ein Werkzeug, ohne zentrale Erlaubnis Werte zu übertragen.

Digitaler Euro, Stablecoins – Koexistenz statt Verdrängung

Ein weiterer Schwerpunkt war der Blick auf staatliche Digitalwährungen (CBDCs) und Stablecoins. Geyer erwartet, dass mit wachsender Datentransparenz staatlicher Digitalwährungen das Interesse an privatsphäreschonenden Alternativen steigt. Wolff skizzierte drei konkurrierende Pfade – zentralbankgetriebene Modelle (Europa/China) und marktgetriebene Stablecoins (USA) – und prognostizierte Koexistenz mit unterschiedlichen Stärken: Innovationstempo und Integration auf der einen, Souveränität und Selbstverwahrung auf der anderen Seite.

Fünf Lehren des Abends

  1. Mehr als Geld: Bitcoin ist Protokoll, Netzwerk und Wertspeicher – je nach Land und Lebenslage mit anderen Nutzenversprechen.
  2. Energiekoppelung statt -konkurrenz: Mining kann Erneuerbaren-Fluktuation abfedern, Wärme nutzbar machen und Netzstabilität unterstützen – wenn Projekte sauber geplant sind.
  3. Robuste Anreize: Sicherheit entsteht aus Dezentralität, ökonomischem Vorleistungszwang und offenen Verbesserungsprozessen.
  4. Regulatorische Nachbarschaft: Bitcoin, CBDCs und Stablecoins werden nebeneinander existieren – mit unterschiedlichen Prioritäten bei Kontrolle, Tempo und Privatsphäre.

  5. Bildung entscheidet: Begriffe wie Halving, Mining oder Layer 2 sind Einstiegshürden – Aufklärung bleibt Voraussetzung für eine faktenbasierte Debatte.

„Revolution oder Risiko?“ – der Abend zeigte, dass beides zugleich denkbar ist. Bitcoin eröffnet neue Handlungsspielräume für Bürger, Unternehmen und Energiesysteme, verlangt aber sachliche Auseinandersetzung mit Skalierung, Verbrauch, Regulierung und Privatsphäre. Klar ist: Wir stehen erst am Anfang.

Text: Constanze von Hassel, Chefredakteurin Bayerische GemeindeZeitung
Fotos: Theresa von Hassel

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