Gestalter mit Tempo – Zeitzeugen-Gespräch mit Hans-Jochen Vogel

Bundesminister, langjähriger Oberbürgermeister, Top-Jurist: Im Laufe von 90 Jahren hat Dr. Hans-Jochen Vogel die Geschichte der Bundesrepublik und Münchens entscheidend geprägt. Im Zeitzeugen-Gespräch beim PresseClub München am 26. September 2016 zeigt er, was man mit Energie bewirken kann.

Gestalter mit Tempo – Zeitzeugen-Gespräch mit Hans-Jochen Vogel. Foto: Wolfgang Roucka.

Der Lebenslauf zeigt, wie schnell es gehen kann: Studium der Rechtswissenschaften, Promotion magna cum laude, Staatsexamen, Start als Rechtsreferent in München; mit 34 Jahren dann die Aufgabe als jüngster Oberbürgermeister Deutschlands und Münchens. Wäre er ein Automobil, würde er heute noch diverse All-Time-Bestenlisten mit ungebrochenen Rekorden anführen. Durch sein Leben zieht sich ein Begriff, den er selbst aber selten verwendet: Tempo.

Doch Dr. Hans-Jochen Vogel ist keine Maschine, sondern hat sich dem (Wieder-)Aufbau und der Weiterentwicklung der Demokratie verschrieben. Ein Motto, das er mit seinem kürzlich verstorbenen Freund Max Mannheimer teilt: Nicht vergessen, lernen und Verantwortung für Gegenwart und Zukunft übernehmen. Dies gehört ebenso zu ihm wie Arbeitseifer, Effizienzliebe und Teilhabe am modernen Leben. Das alles mutet erstaunlich einfach und leicht an, als der Anfang 1926 Geborene im Kreise von Mitgliedern des PresseClub sitzt, und sich den Fragen stellt.

Er ist umgeben von Menschen, die seine Kinder oder Enkel sein könnten; teils selbst ergraut und 70-jährig. Immer wieder tritt Vogel den Nachweis an, dass er interdisziplinär ist. Er denkt nicht so - so ist er einfach. Die Zeit, in der er durchstartete, brauchte solche Typen ganz besonders: Ruinen und Nöte, aber auch offene Räume und neue Visionen. Kein Wunder, dass Vogel einer der besten Aufräumer wurde, beim Ausmisten von Uralt-Gesetzen und Vorschriften in Bayern etwa – vorher 22.000, danach 2.000. Beim Thema Stadtentwicklung und Raumordnung in München, als er den öffentlichen Nahverkehr förderte, als dieser noch verpönt war. Der Start von U-Bahn-Bau und S-Bahn ab Mitte der 1960er Jahre; das in einer atemberaubenden Geschwindigkeit, die heute unmöglich scheint. Das Aufgleisen der Olympia-Bewerbung für die Spiele 1972 – damals 60 Tage, heute 2,5 Jahre.

Natürlich: alles Teamarbeit. Aber wie soll man auch etwas nicht gut und rasch erledigen, wenn der Boss von den Mitarbeitern das verlangt, was er sich selbst abverlangt? Mancher empfand das als Drohung. Dazu diese Korrektheit. Noch heute schildern andere glaubhaft, dass der bekennende Nutzer von U-Bahn, Tram und Co. beim versehentlichen Schwarzfahren darauf bestand, so behandelt zu werden, wie der Rest. Auch deshalb bleiben 4.444 Tage als OB in München wichtig.

So einer spart ganz gerne, wägt die Kosten ab. Und engagiert sich gemeinsam mit dem Team von Architekt Egon Eiermann für ein architektonisches und planerisches Großprojekt wie Olympia, von dem nicht nur eine Architektur-Ikone mit Zeltdach bleibt. Im Falle des Olympiastadions explodieren zwar die Kosten (geplant: 14 Millionen DM, gezahlt: 140 Millionen DM), aber das war es wert; das bekräftigt er heute noch. Fürs Kontobuch: Die vom schrecklichen Terroranschlag überschatteten Spiele kosteten exakt 1.972 Millionen DM.

Gestalter mit Tempo – Zeitzeugen-Gespräch mit Hans-Jochen Vogel. Foto: Wolfgang Roucka.

Zur Tagespolitik äußert sich Hans-Jochen Vogel ungern. Aber er macht deutlich, welche Baustellen ihm heute noch wichtig sind. Denn es gibt Aufgaben, die er – etwa als Bundesminister für Justiz sowie als Ressortchef für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau unter Willy Brandt – nicht ganz zu Ende führen konnte: grundlegende Grundrechtsreformen, die Immobilienpreis-Explosionen über lange Zeiträume hätten mildern oder verhindern können. Hier sieht er auch heute noch Bedarf. Wäre Hans-Jochen Vogel Architekt geworden, er wäre dem Le Corbusier der 1940er bis 1960er Jahre nicht unähnlich gewesen: streitbar, konstruktiv, ein bescheidener Gestalter.

Die zwei Stunden mit Hans-Jochen Vogel sind vergangen. Im Flug.

Text:Thomas Kletschke. Fotos: Wolfgang Roucka.

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