Man muss auch mal nerven!

PresseClub diskutierte über Chancengleichheit der Frauen in Medienberufen

PresseClub diskutierte über Chancengleichheit der Frauen in Medienberufen. Foto: Heinrich Rudolf Bruns.

„Man muss auch mal nerven!“, rief Sissi Pitzer in der Diskussion aus, als es um das Engagement von „Quote Pro“ und die Forderung nach gleich viel Frauen wie Männern in den Führungsetagen der Medienhäuser ging. Zugegeben: Diese Diskussionen mögen nerven, aber sie müssen wohl noch oft geführt werden, bis eine Gleichberechtigung hergestellt ist. Im PresseClub München diskutierten darüber der Münchner Kommunikationswissenschaftler Professor Romy Fröhlich, die Journalisten Ulrich Berls (einst ZDF) und Sissi Pitzer (BR) sowie und der städtische Kreativ-Berater Jürgen Enninger.

Medien, bemerkte Moderatorin Johanna Bayer eingangs, gelten eigentlich als progressiv, doch bei Frauen sei eine gleiche Anstellung noch in weiter Sicht: Nur knapp 40 Prozent im Printbereich (Ausnahme die Berliner taz mit 50 Prozent), im Bereich Online und Social Media sind die Zahlen geringfügig höher. Und ausgerechnet im reichen Süden (Bayern, Baden-Württemberg) sind noch weniger Frauen in Führungsaufgaben als im Rest der Republik. So zählt Bayern zwei Chefredakteurinnen. Der Gender Pay Gap, also die Differenz zwischen dem Verdienst von Frauen und Männer beträgt im Bundesschnitt 20-23 Prozent. Bei Berufsanfängern sind Tagessätze zwischen 120 und 150 Euro üblich, wobei auch hier Frauen weniger verdienen. Nach Auskunft des Deutschen Journalistenverbandes liegt das aber auch daran, weil Frauen in anderen Zeitmodellen arbeiten (wollen).

Und noch einen weiteren Grund, weshalb deutlich weniger Frauen in Führungsetagen aufsteigen, hat Sissi Pitzer erkannt: Frauen wollen lieber gut schreiben, Geschichten erzählen, filmen und weniger Verwaltungskram haben. Dazu komme die hohe Arbeitsbelastung. Dem stimmt Ulrich Berls, der frühere Leiter des Münchner ZDF-Studios, zu: Eine Führungsaufgabe sei eben nicht mit 40 Stunden in der Woche zu erledigen, vielmehr müsse man mit 60 und mehr Stunden rechnen. Die norwegische Lösung, so Pitzer, sei ein nachdenkenswertes Modell: No Meeting After 5. Dann bleibe auch Zeit für die Familie.

Allerdings, so Berls, müssten junge Paare, die beide arbeiten, sich darüber im Klaren sein, dass nur einer Karriere machen kann. Und dass die Arbeitsbelastung eines Reporter mit Einsatz am Wochenende und zur Nacht nur schwer mit den Bedürfnissen einer Familie in Einklang zu bringen sei – falls nicht andere Familien-Modelle gefunden werden. Aus seiner Erfahrung sei eine Studioleitung beim ZDF für eine Frau noch erreichbar, kaum aber die höheren Ebenen bis zum Intendanten.

Warum aber, fragte LMU-Professor Romy Fröhlich, stoßen auch Frauen ohne „Reproduktionspflichten“ – also kinderlose Frauen oder solche, deren Kinder bereits großgezogen sind, auf den Hierarchiestufen ebenfalls an den gläsernen Deckel? Einerseits, das zeigen Fröhlichs Forschungen zum Thema Medien und Gender, hätten Frauen wenig Lust auf die Art Führung, wie bei uns gelebt wird. Sie sähen auch selber, dass sie als Abziehbild männlicher Verhaltensweisen eher komisch als mutig gelten. Hauen sie mal auf den Tisch, gelten sie gleich als Mannweib oder Bitch. Romy Fröhlich bezeichnet das die „Freundlichkeitsfalle“. Es sei dieses Heraustreten aus weiblichen Gesten, das die männliche Konkurrenz oder Gefolgschaft gar nicht goutiere.

Auch Jürgen Enninger, Leiter des Kompetenzzentrum für Kultur- und Kreativberufe der Stadt München, konnte interessante Erkenntnisse beisteuern: Menschen würden sich gerne über das definieren, was sie nicht können. Diese Erfahrung habe er bei der Besetzung vieler Panels und Podien im Bereich der Kreativwirtschaft der Stadt München gewonnen. Denn obwohl gerade die Kreativbranche weiblich geprägt sei, könne man auf vielen Podien dennoch einen Männerüberschwung beobachten. Frauen würden eher mal zurückfragen ob sie denn qualifiziert seien, Männer dagegen würden sogar zusagen, ohne das Thema zu kennen. Impulsive Zustimmung kam von Sissi Pitzer, die sich auch im Verein „Quote Pro“ engagiert. Sie lehne es konsequent ab, Podien zu moderieren, die nicht mindestens paritätisch besetzt seien. Enninger verwies zudem auf einen Ausweichbereich, in dem sich viele Frauen tummeln würden: Start ups. Wohl auch deswegen, weil hier Arbeitszeiten und -modelle (teils) noch selbst bestimmt werden könnten oder an die persönlichen Bedürfnisse angepasst würden.

In einer munteren Diskussion mit dem zahlreich anwesenden Publikum kristallisierten sich weitere Gründe heraus: Frauen, die erfolgreiche Großmütter und Mütter hatten, sind selbst erfolgreicher, Frauen, die konsequent gefördert wurden, erklimmen die Karrierestufen eher und höher als vergleichbare Frauen, die eher „in den Job rutschten“. Und der „Nebenher-Journalismus“ an der Seite eines erfolgreichen Bankers sei auch nicht erstrebenswert und würde auf Dauer die Einkommenssituation von Frauen nicht verbessern.

Fazit: Mentoringprogramme, Promotionen und Förderung sind für Frauen notwendig, damit sie die gleichen Chancen haben wie Männer. Denn erst bei gleicher Qualifikation könne auch eine Quotenregelung erfolgversprechend sein. Ein weiteres Thema war die Politik und ihre gut gemeinte Steuerung und Versorgung der Familie. Ein Blick in die USA und das benachbarte Europa zeige, dass Frauen, die nach der Geburt nicht fünf bis sechs Jahre beim Kind blieben, die nicht zwischen Kita und Erziehungszeit wählen müssten, die, wie in den Niederlanden, nach drei Monaten zwischen Kind oder Karriere entscheiden müssten, würden eher Karriere machen.

Viel Stoff zum Nachdenken – über Rollenbilder und unseren Umgang damit, über Gleichberechtigung, Chancen und Aufstieg. Wenn wir nicht drüber nachdenken, reden und entsprechend handeln, dann droht vielen Frauen auch in der Medienbranche das Prekariat. Auch deswegen muss immer wieder genervt werden.

Text und Fotos: Heinrich Rudolf Bruns.

Zurück