Mit dem Club von Weltkulturerbe zu Weltkulturerbe

Eine Reise ins Lutherland. Foto: Johann Schwepfinger.

Die Reise ins Lutherland begann in den Räumen unseres Presseclubs am Marienplatz. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff war zu Gast und lobte seine Heimat: „Kein anderes Bundesland verfügt über so viele Weltkulturerbe-Stätten wie Sachsen-Anhalt. Unser Land kann mit Stolz in Anspruch nehmen, Ursprung der deutschen Hochkultur“ gewesen zu sein.“ Spontan entstand die Idee, die nächste Reise des Presseclubs nach Wittenberg zu planen, genau zwei Jahre, bevor die Lutherstadt 2017 das 500. Jubiläum des Thesenanschlags feiern wird. Und der Ministerpräsident versprach ebenso spontan, die Besucher aus München durch seine Heimatstadt zu führen.

Eine Reise ins Lutherland. Foto: Johann Schwepfinger.

Früh am 26. Juni machte sich die Club-Reisegruppe mit einem bequemen Reisebus auf die lange Fahrt nach Norden. Fünf Stunden Fahrzeit bis zur ersten Station Naumburg vergingen schneller als befürchtet. Was erleidet man nicht alles für die Bildung. Und für das Wiedersehen mit der rätselhaftesten Frau deutscher Bildhauerkunst, der Uta von Naumburg. Zuvor führte uns der ehemalige Oberbürgermeister Curt Becker durch das historische Zentrum der Domstadt, die sich zum Kirschen- und Hussitenfest herausgeputzt hatte. Man kann den Naumburger Dom schon oft besichtigt haben, man steht immer wieder ergriffen in diesem mehrchörigen Gotteshaus. Ein kundiger Domführer brachte uns die Meisterwerke der Bildhauerkunst im Lettner des Westchors und die Geschichte der Stifterfiguren nahe. Was ist nun mit der Uta? Schmollt sie? Ist sie traurig? Sucht sie Schutz unter ihrem Mantel? Schaut sie neidisch oder spöttisch zu ihrer Schwester hinüber? Niemand wird es je ergründen. Niemand weiß auch, ob sie so ausgesehen hat, wie sie der unbekannte Naumburger Meister Mitte des 13. Jahrhunderts so faszinierend zum Leben erweckt hat, dass noch heute jährlich 170.000 Besucher hauptsächlich ihretwegen nach Naumburg kommen. Mit dem Naumburger Dom erwiesen wir dem ersten Weltkulturerbe unserer Reise unsere Reverenz.

Bei der Weiterfahrt erfuhren wir von Rosemarie Säuberlich, der Initiatorin der „Romanischen Straße“, viel über die schwierigen Anfänge kultureller Revitalisierung nach der Wende. So verlief die Fahrt sehr kurzweilig auf der Autobahn über die Dessauer Elbbrücke, durch das noch sehr vom Verfall geprägte Coswig, vorbei an vielen Industrieruinen nach Wittenberg. Mögen die Landschaften blühen, die Städte haben noch viel aufzuholen, sollte es überhaupt je gelingen. Wittenberg allerdings rüstet sich sichtbar für 2017. Im gepflegten Hotel Luther nahmen wir Quartier.

Dass der Terminkalender des Ministerpräsidenten zu eng geworden war für eine ausführliche Stadtführung, hatte uns die Staatskanzlei aus Magdeburg bereits signalisiert: Der Regierungschef musste eine Cranach-Ausstallungen in Dessau und Wörlitz eröffnen. Dennoch nahm er sich Zeit, uns im Refektorium des Lutherhauses mit einigem Stolz in seinem Wittenberg, in dem seine Familie seit Generationen lebt, zu begrüßen und ausführlich über die ökonomische und gesellschaftliche Lage der Region zu informieren. Auch über die Besonderheit, weshalb er im lutherischen Wittenberg bekennender Katholik ist. Wobei beide Konfessionen nur noch Minderheiten in der Stadt sind, die in zwei Jahren zum großen Religionsjubiläum einlädt.

Während der Ministerpräsident im Dienstwagen Richtung Dessau aufbrach, wurden wir durchs Lutherhaus und anschließend durch die Stadt geführt. Es ist hier nicht der Platz, ausführlich darauf einzugehen, auch wenn wir natürlich ergriffen in Luthers Studierstube standen, in der er zusammen mit Philipp Melanchthon an der Übersetzung des Neuen Testaments gearbeitet und damit letztlich auch zur deutschen Hochsprache beigetragen hat. Jeder kann in Google nachschauen, was wir vor Ort erleben durften. Wittenberg ist nicht nur Lutherstadt, sondern zugleich von Melanchthon, Bugenhagen, Lucas Cranach dem Älteren und dem Jüngeren geprägt. Im Herbst 1996 wurden unter dem Titel „Stätten der Reformation“ u.a. das Wittenberger Luther- und Melanchthonhaus sowie die Stadt- und die Schlosskirche in die Welterbeliste der UNESCO ausgenommen. Allen blieb freie Zeit genug, die vielen Eindrücke zu vertiefen und sich vor den Cranach-Altären in der Stadtkirche in die damalige Zeit zu versenken.

Am Nachmittag stand dann die phantastische, tags zuvor von Reiner Haseloff eröffneten Ausstellung der Werke Lucas Cranach des Jüngeren auf dem Programm: Zu seinem 500. Geburtstag hat ihm Sachsen-Anhalt diesjährige Landesaustellung gewidmet. Insbesondere Cranachs 13 phänomenalen Portraitzeichnungen, geschützt in einem extra Kabinett, haben alle tief beeindruckt. Man hatte sie zeitweilig Cranach d.J. gar nicht zugetraut, sondern Albrecht Dürer oder Hans Holbein zugeschrieben, ehe sie nach Jahrhunderten erstmals aus dem französischen Reims wieder geschlossen nach Wittenberg an die Stätte ihres Meisters zurückgekehrt sind.

Ein paar Bemerkungen seien noch der geistigen Kost neben der leiblichen Speise gewidmet: Am Abend des ersten Tages hat uns der erfolgreiche Berliner Dokumentarfilmer Jürgen Ast, der auch schon mit dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet wurde, Rede und Antwort gestanden über das Leben vor und nach der Wende. Seine Karriere konnte erst nach dem Mauerfall beginnen, zuvor stand er auf der Internierungsliste der SED. Am Mittag des zweiten Tages erfuhren wir von Wolfgang Balint, Ministerialrat in der Länderregierung von Brandenburg und Vorstandsmitglied des Vereines Fläming-Flandern, woher der Fläming, an dessen südlichem Rand Wittenberg liegt, seinen Namen hat und welche Spuren aus der Zeit der flandrischen Zuwanderung im 12. und 13. Jahrhundert sich bis heute in Sprache, Ortsnamen und Siedlungsformen niedergeschlagen haben.

Am dritten Tag hieß es schon wieder Kofferpacken und Start zum nächsten Weltkulturerbe, dem Wörlitzer Gartenreich. Wer glaubte, ein Park sei ein Park sei ein Park, erlebte eine von Philantropie, von europäischer Kunst- und Geisteswelt geprägte Gartenlandschaft, von Seen und Kanälen durchzogen mit Sichtachsen auf das Gotische Haus, auf Tempel, auf Nymphen, auf kunstvolle Brücken, auf den nachempfundenen Vesuv. „Diese Landschaftsgestaltung der Aufklärung ist symbolische Vervollkommnung dessen, was Fürst Leopold Friedrich Franz von Anhalt-Dessau (1740 – 1817) und sein Freund und Vertrauter, der Baumeister Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorf (1736 – 1800) nach ihren Studienreisen durch Italien, die Schweiz, durch Frankreich und Holland, vor allem aber durch England in heimischen Gefilden verwirklicht haben“ (Erhard Hirsch in „Wörlitzer Anlagen“, Leipzig 1989). Bis heute gemäß den Statuten als Bildungserleben für jedermann frei zugänglich. Einige der Reisegruppe erlebten diese Harmonie zwischen Natur und Kunst bei strahlendem Sonnenschein gemütlich auf einer Gondel, die anderen ließen sich von Klaus-Jürgen Franke auch in die botanischen Schätze dieses Gartnereiches einführen. Jeder konnte schließlich verstehen, was Goethe in einem Brief 1778 vermerkte: „Hier ist iezt unendlich schön. Mich hats gestern Abend, wie wir durch die Seen, Canäle und Wäldgen schlichen, sehr gerührt, wie die Götter dem Fürsten erlaubt haben, einen Traum um sich herum zu schaffen.“

Nach dem Mittagessen ging es dann wieder auf die Autobahn. Allzu schnell waren die schönen Tage gemeinsamen Erlebens vorbei.

Text: Dr. Werner Siegert, Fachbuchautor – Mitglied im Intern. Presseclub München
Fotos: Johann Schwepfinger – Mitglied im Vorstand des Intern. Presseclub München

Zurück