PresseClub-Werkstattgespräch zum Nahost-Konflikt mit Richard C. Schneider

Gelungener Auftakt einer Reihe von Diskussionsrunden im PresseClub München

Werkstattgespräch zum Nahost-Konflikt

Richard C. Schneider, geboren 1957, ist ein deutscher Journalist, Autor und Dokumentarfilmer. Von 2006 bis Ende 2015 leitete er das ARD-Studio in Tel Aviv, danach das ARD Studio Rom eher er wieder nach Tel Aviv zurückkehrte. Seit 2021 ist er für den Spiegel tätig. Als es um 18 Uhr pünktlich losgeht, ist der PresseClub München bereits prall gefüllt. Im Publikum sitzt auch Fachpublikum, so zum Beispiel Dieter Mayer-Simeth, ehemaliger BR-Korrespondent in Teheran und Tel-Aviv. Nach kurzer Einleitung durch Vorstandsmitglied Peter Althammer, der die Nahost-Reihe ins Leben gerufen hat, hingen die Zuhörer an Schneiders Lippen. Die ersten 45 Minuten Monolog vergingen so schnell – man hatte das Gefühl, man säße im Kino. Oder im falschen Film.

Die Angriffe vom 7. Oktober waren für Richard C. Schneider auch persönlich ein Tag der großen Trauer. Er erfuhr über die sozialen Medien, dass eine gute Bekannte beim Rave ermordet wurde. Sie wurde zuvor vergewaltigt und massakriert. Die Schilderungen weiterer Gräueltaten gingen dem Publikum sehr nah. „Ein neun Monate altes Baby wird in einen Backofen gesteckt, die Temperatur wird auf 240 Grad gestellt und die Eltern müssen gefesselt dabei zusehen, wie ihr Kind langsam verbrennt.“ Schneider betont, dass diese bestialischen Handlungen aber nicht der Grund sind, warum Israel nun keine andere Wahl habe, die Hamas auszulöschen. Es ginge, so wird das in Israel gesehen, schlicht um die Rettung der westlichen Welt. Für Israel und alle Juden dieser Welt sei dieser Kampf auch ein Kampf ums nackte Überleben. Islamistische Gruppen, ob die Hisbollah, die iranische Führung, die Hamas oder der Islamische Dschihad – sie alle hätten vor allem ein Ziel: die Vernichtung aller Juden.

Knapp einen Monat nach dem minutiös geplanten Angriff der Hamas auf Israel ist der Einsatz des israelischen Militärs im Gazastreifen zur Zerschlagung der Hamas schon weit fortgeschritten. Gleichzeitig sind die üblichen Narrative in diesem Konflikt wieder Teil der Diskussion und Propaganda auf beiden Seiten, sie stellen Journalisten vor große Herausforderungen. Für Medienvertreter stellt sich immer wieder die Frage, wie man über die Region objektiv berichten kann – wie sich zurechtfinden in den vorherrschenden Narrativen und der aufgeheizten öffentlichen Stimmung?

„Dem Publikum muss der Kontext der jeweiligen Gesellschaften erklärt werden“, sagt Schneider. Nur so könne der Konflikt besser nachvollzogen werden. Denn oft würden nicht überprüfbare Informationen als wahr angesehen und bedenkenlos übernommen werden: „Israel und die Hamas haben beide ein Interesse die öffentliche Meinung zugunsten von sich selbst zu beeinflussen. Genauso wie natürlich auch Selenskyj das für seine Ukraine macht, das ist ja ganz logisch. Wir kennen das aus vielen Bereichen. Doch wir sind Journalisten. Wir müssen versuchen neutral zu bleiben.“

Auch wenn laut einer aktuellen Umfrage nur noch vier Prozent der Israelis ihrem Ministerpräsidenten Netanjahu glauben, wenn er über den Krieg spricht, so unterlägen die israelischen Aussagen dennoch einigermaßen den regulären Kontrollmechanismen einer Demokratie: der freien Presse und Meinungsäußerung, dem Rechtsstaat und der politischen Pluralität. Schneider ist fest überzeugt: „In Israel kann ich auch heute noch sagen was ich will, zeigen schreiben was ich will, sofern es keine militärischen Geheimnisse während des Krieges betrifft. Da greift die Militärzensur“ Die Massenproteste gegen die Justizreform und jetzt auch die einsetzenden Proteste gegen die Kriegsführung zeigten zudem die demokratische Verankerung der israelischen Gesellschaft: „Davon könnten sich einige westliche Länder eine Scheibe abschneiden.“

Im Gazastreifen hingegen könnten Journalisten ihre Arbeit nur unter dem Einfluss der Terrororganisation Hamas machen – von dort berichten ginge ohnehin nicht mehr wirklich. Schneiders Kollegen, die ihm früher immer mit neutralen Bildern und Berichten aus Gaza geholfen haben, gehen nicht mehr ans Telefon. Er hat den Kontakt verloren. Oft seien nur kleine Ausschnitte sichtbar, die das Berichten mit journalistischen Standards schwieriger machten und dessen sich Journalisten immer bewusst sein sollten. Man sollte auch nicht Krieg inszenieren, so etwa, wenn Korrespondenten mit Helm und schusssicherer Weste direkt aus der Innenstadt von Tel Aviv berichten.

Auch von angeblich unabhängigen Hilfsorganisationen oder WHO könne man nicht immer nur die Wahrheit erwarten. Oft ginge es auch um Dramatisierungen, um im nächsten Jahr mehr Budget zu erhalten. „Alle zehn Minuten stirbt ein Kind in Gaza“ verkündete WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus – und die großen Medienhäuser berichteten es. „Die Frage ist: Hat das irgendeiner mal nachgeprüft? Hat da einer mal angerufen? Woher weiss die WHO das? Kann sie das belegen? Die Journalisten machen teilweise keinen guten Job.“

Gegen Ende der abschließenden Fragerunde ist das Interesse der Teilnehmer weiterhin so groß, dass Peter Althammer Schwierigkeiten hat, zu einem natürlichen Ende zu kommen. Seine Abmoderation wird von weiteren Handzeichen und Fragen unterbrochen. Doch bei der letzten Frage zur Einschätzung von Islamwissenschaftlern und Islamexperten in Deutschland muss Schneider feststellen: „Da müsste ich jetzt nochmal eine Stunde lang reden, nur leider haben wir dafür keine Zeit mehr.“ Spätestens dann wurde dem Publikum klar, dass der Nahostkrieg nicht in einem einzigen Werkstattgespräch des Presseclubs erklärt ist, sondern dass er sehr komplex ist. Aber gerade das ist doch auch wieder eine zentrale Erkenntnis und Ansporn genug, diese Reihe noch lange fortzuführen. Der nächste Redner soll Historiker Michael Wolffsohn sein.

Text: Alexander Karam und Philipp Bächstädt
Fotos: Michael Lucan

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